Freitag, 19. Oktober 2007



Bis vor einigen Jahren war ich ein eifriger Sammler alter Ansichtskarten von Schaubudenattraktionen aus der Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Ein Teil der Sammlung ist in einem Buch (A5, Hardcover, 70 Seiten, 100 Abbildungen) mit dem Titel
"Gruß von der Riesendame. 
Schaubudenattraktionen auf alten Ansichtskarten"
abgebildet, das für 40,- Euro bei mir erworben werden kann.

Die Erstfassungen der Texte und jeweils eine Karte sind in diesem Blog einzusehen.
Das Copyright liegt selbstverständlich bei mir. Die abgebildeten Karten sind alte Originale aus meiner Sammlung.

Bei näherem Interesse an den Schaubuden früherer Jahrmärkte empfehle ich meine Ausführungen unter http://www.schaubuden.de/.

Mittwoch, 17. Oktober 2007

1 Einleitung



Ein vielstimmiger Klangteppich legte sich über alle, die sich ins Vergnügungen eines Jahrmarkts zur Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende stürzten: Überall priesen Rekommandeure, lautstark unterstützt von Glocken, Pauken oder sogar kleinen Blaskapellen, die Weltwunder und einmaligen Sensationen der Schaubuden an. Vor den Kinematographen, Panoptiken und Karussells erklangen aus prachtvoll gestalteten Orchestrions die Melodien der neusten Gassenhauer. Bänkelsänger sangen herzzerreißende Moritaten zu den Klängen ihrer Drehorgeln. Hinzu kamen die unzähligen Verkäufer verschiedenster Leckereien, Souvenirs, Kurz- und Spielwaren, die mit heiserer Stimme für ihre Angebote warben.
Von der besonderen Atmosphäre früherer Volksfeste mit ihren zahlreichen so lautstark umworbenen Schaustellungen künden die alten Postkarten, die hier gezeigt werden, um etwas von diesem vergangenen „Kirmeszauber“ in unsere Zeit hinüberzuretten.
Es handelt sich vor allem um zwei Arten von Karten: Zum einen die farbenprächtigen, detailreichen "Lithographien", die in großer Zahl auf den Jahrmärkten um die Jahrhundertwende verkauft wurden, zum anderen um Fotokarten als Souvenirs von Schaubuden-Attraktionen wie den zahlreichen „Kolossalweibern“.
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(c) Stefan Nagel 2007

2 Schaulust



Auf einem Jahrmarkt um das Jahr 1900 dominierten noch die verschiedensten Schaustellungen, Fahrgeschäfte waren im Gegensatz zu heute weniger häufig.
Im 19. Jahrhundert stieg das Wissen und somit das Interesse breiter Schichten um die Welt außerhalb des eigenen Erfahrungsbereichs. Die Schaubuden boten Möglichkeiten, vieles von dem, was die Menschen nur vom Hörensagen oder aus Illustrierten und Büchern kannten, mit eigenen Augen zu sehen. Hinzu kam eine naive Schaulust am Exotischen, am Außergewöhnlichen und Sensationellen. Nicht zu vernachlässigen ist schließlich die erotische Komponente. Viele Darbietungen boten für die damalige Zeit sehr weitgehende Einblicke, so zum Beispiel die beliebten tätowierten Damen.
Angesichts der Vielfalt der Schaubuden ist es nicht verwunderlich, dass die Ausrufer oder Rekommandeure oftmals die bestbezahlten Künstler der Schauen waren. Tatsächlich war es eine regelrechte Kunst, zunächst das Interesse der vorbeischlendernden Menschen zu wecken und sie dann dazu zu bewegen, ihre mühsam verdienten Groschen an der Kasse zu lassen.
Der eigentliche „Budenzauber“ fand daher oft während der Parade auf einem Podium vor der auffällig bemalten Fassade statt. Hier stellte der Rekommandeur die Sensationen und Weltwunder vor, während die Mitwirkenden Kostproben ihres Könnens zeigten: “Da brauch ma gar net neigeh, der macht heraus vor seiner Bude mehra Gaudi als wia drinna, schick di, daß ma ganz vorn hikemma...” (Karl Valentin)
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(c) Stefan Nagel 2007

Dienstag, 16. Oktober 2007

3 Panoptikum



Das Jahrmarkt-Panoptikum steht in besonderer Weise für eine vergangene, anheimelnde Schaubudenatmosphäre.
Es war in erster Linie ein Wachsfigurenkabinett – darüber hinaus aber häufig auch eine anatomische sowie eine natur- und völkerkundliche Sammlung oder besser ein Kuriositätenkabinett. Um die Außenwirkung ihrer Schaugeschäfte aufzuwerten, nannten viele Betreiber ihr Panoptikum folgerichtig auch „Museum“.

Die Typen und Themen der Wachsfigurenkabinette entsprachen weitgehend denen, die heutzutage im Fokus der Boulevardpresse stehen: Vertreter von Herrscherhäusern, Künstler, Verbrecher, leicht bekleidete Damen in „pikanten Szenerien“. Hinzu kamen mechanisch animierte Figuren und Gruppen, die zumeist tragische Begebenheiten oder Sagen- und Märchenstoffe zum Thema hatten.

Hauptanziehungspunkt war jedoch oftmals die anatomische Abteilung, die in einem nur Erwachsenen zugänglichen Extrakabinett untergebracht war, für das in der Regel ein besonderter Eintritt erhoben wurde.
Gegenstand dieser Extrakabinette war der menschliche Körper in seiner äußeren und inneren Beschaffenheit einschließlich der Geschlechtsorgane. Die plastischen und somit sehr anschaulichen Anschauungsobjekte dienten durchaus der Volksaufklärung, ja sogar dem Gesundheitsschutz: Die Darstellungen krankhafter Zustände der Organe umfassten immer auch in schaurig-abstoßender Weise Geschlechtskrankheiten oder Folgen übermäßigen Alkoholgenusses.

Die nicht-wächsernen Exponate dieser „reisenden Institute“ waren vornehmlich kunsthandwerkliche Gegenstände aus exotischen Ländern, Molluskenschalen, Insektensammlungen, ausgestopfte Tiere, Missbildungen und Reptilien in Spiritus, Folterinstrumente, Schrumpfköpfe und dergleichen. Besondere Attraktionen bildeten sogenannte Reliquien – „originale“ Gegenstände aus dem Besitz berühmter Persönlichkeiten, die von besonders grausiger Wirkung waren, wenn es sich Gerätschaften handelte, die Mörder bei ihren Taten verwendet hatten…
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(c) Stefan Nagel 2007

Montag, 15. Oktober 2007

4 Menagerien



„Die größte Schlange der Welt“ musste es schon sein, andernfalls wäre das Publikum in den zahlreichen kleinen Menagerien oder „Schlangenbuden“ ausgeblieben. Da wundert es nicht, dass die Anpreisungen der zoologischen Wunder im Wettkampf um die Gunst des Publikums wahrhaft „ungeheuerliche“ Ausmaße annehmen konnten.
Wohl dem Menageriebesitzer, der tatsächlich mit Naturwundern aufwarten konnte, einem Riesenochsen zum Beispiel oder einer tierischen Abnormität wie einem Kalb mit zwei Köpfen. Erfahrene Schaubudenbesucher wussten bei solchen Attraktionen um die Bedeutung des Adjektivs „lebend“; fehlte es in der Ankündigung, so handelte es sich höchstwahrscheinlich um ein ausgestopftes Exemplar mit eventuell nicht naturgegebenen Missbildungen…
Die kleinen Tierschauen brauchten solche Attraktionen auch, um sich neben den großen Menagerien behaupten zu können. Solche Geschäfte verfügten über einen beachtlichen Bestand exotischer Tiere. Höhepunkte bildeten stets die Vorführungen der Raubtiere, wobei die Tierbändiger und die zahlreichen Dompteusen der damaligen Zeit bisweilen beachtlichte Dressurerfolge mit einem durchaus nicht immer wilden oder brutalen Vorführstil erzielten.

Dressurvorführungen waren auf den Jahrmärkten zudem in den "Hunde- und Affentheatern" zu erleben, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten. In diesen Schaubuden zeigten verkleidete Hunde und Makaken kleine Kunststücke und imitierten menschliche Handlungen in kleinen Szenen. 
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(c) Stefan Nagel 2007

Sonntag, 14. Oktober 2007

5 Illusionen















Die bekannteste Schaubudenattraktion, „die Dame ohne Unterleib“, war häufig eine Illusion, die in "schwarzen Kabinetten" oder aber mit Hilfe von Spiegeln erzeugt wurde.
Bei vielen der zahlreichen Illusionsschauen auf Jahrmärkten handelte es sich um solche Spiegelillusionen. Besonders der weibliche Körper wurde in diesen Schaugeschäften selten zur Gänze gezeigt – und wenn, dann in seltsamen Ausformungen wie bei den diversen „Planetenweibern“ mit meterlangen Hälsen und mehreren Brüsten.
Sehr verbreitet war die „Frau ohne Kopf“. „Garanten“, dass diese bedauernswerten Damen wie in der Werbung angekündigt „lebend“ präsentiert werden konnten, waren zahlreiche Schläuche, die aus dem Hals zu komplizierten medizinischen Apparaturen führten.
Während die meisten dieser nicht zufälligerweise weiblichen Attraktionen lediglich präsentiert wurden, kommunizierte der „Sprechende Kopf“ mit seinem Publikum - oftmals unter Anwendung vermeintlich hellseherischer Fähigkeiten.

Andere Damen schwammen ohne aufzutauchen in einem großen Aquarium inmitten allerlei gefährlichen Seegetiers oder schwebten gar frei im Raum. Diese Illusion funktionierte mit Hilfe einer Drehscheibe sowie wiederum mit Spiegelprojektionen.

Auch die Laterna Magika, ein Vorläufer des Dia-Projektors, wurde für Illusionen eingesetzt. Mit ihrer Hilfe konnten „Geistererscheinungen“ oder durch Überblendungstechniken Verwandlungen bzw. Metamorphosen von Menschen und Gegenständen vorgetäuscht werden. 
Später ermöglichten geschickt eingesetzte Licht- und Spiegeleffekte Metamorphosen wie in den "Girl to Gorilla-Shows".

Das Publikum wusste natürlich in der Regel, dass all diese Vorführungen auf optischen Täuschungen beruhten - und je perfekter, d.h. je weniger durchschaubar diese waren, desto besser war die Schau.
Trotzdem gab es immer wieder recht plumpe Täuschungen, so bei den vielen „Fischweibern“ oder „Seejungfrauen“, hinter deren Ankündigungen sich mitunter sogar die Schaustellung eines Seehundes verbergen konnte. Fehlte das Attribut „lebend“, handelte es sich um ein Präparat aus einem mumifizierten Affen mit einem Fischschwanz.

Illusionen waren auch das Metier der Zauberkünstler, die auf den Jahrmärkten den sprichwörtlichen Budenzauber veranstalteten. Sie zeigten in der Regel einfache Apparatetricks sowie Manipulationen, bisweilen aber auch Großillusionen, wobei die „Enthauptung einer lebenden Person auf offener Bühne“ oftmals den Höhepunkt der Vorstellung bildete. Darbietungen aus dem Bereich der Mentalmagie gehörten ebenfalls zum Repertoire, wobei Mnemotechniken oder vermeintliches Hellsehen oft auch in anderen Buden beispielsweise von "Riesendamen" oder Kleinwüchsigen präsentiert wurden.
Die Magier in den Zauberbuden umgaben sich häufig mit einer exotischen, geheimnisvollen Aura oder schmückten sich, wenn der experimentelle Charakter einer „natürlichen Magie“ im Vordergrund stand, mit „Professoren-Titeln“.
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(c) Stefan Nagel 2007

Samstag, 13. Oktober 2007

6 Panorama und Kinematograph



Wenn ein Mensch um das Jahr 1900 ins Kino ging, dann tat er das in der Regel auf dem Jahrmarkt. Stationäre Filmtheater setzten sich zunächst nur sehr langsam durch.
Neben den Varietébesitzern erkannten die Schausteller als erste die Möglichkeiten des neuen Mediums, das für einige Jahre vor allem eine weit verbreitete Jahrmarktsattraktion war. Die „Kinematographen“, „Bioscope“ oder „Elektrischen Theater“ präsentierten ihre „lebenden Bilder“ hinter prachtvollen Fassaden mit integrierten Jahrmarktsorgeln. Die Modernität der Geschäfte sowie den Wohlstand ihrer Besitzer dokumentierten die ebenfalls im Frontbereich ausgestellten Dampfmaschinen, die einerseits die Geschäfte mit Elektrizität versorgten und andererseits als moderne technische Errungenschaft einen viel bestaunten Blickfang für die Kirmesbesucher darstellten.
Gezeigt wurden ca. halbstündige Programme mit mehreren kurzen Filmen. Neben bewegten Bildern von bedeutsamen Ereignissen waren dies vor allem kleine Spielszenen in einer bunten Mischung aus Verbrechen, Drama, Komik und Erotik. Insbesondere die „grauenhaften“ und „pikanten“ Inhalte ließen bereits in den Anfangsjahren des Mediums Kritik aufkommen, die vor allem auf vermeintlich „schädliche Einflüsse der Kinematographentheater für die Jugend“ abzielte.

Sehr weite Verbreitung fand schon vor dem Aufkommen der Kinematographen das Panorama.
Mit den stationären Rundgemälden hatten diese Schaubuden nur den Namen gemeinsam. Im Jahrmarktspanorama konnten durch Linsen Gemälde und später (stereoskopische) Fotografien betrachtet werden, wobei häufig mit einfachen Mitteln Beleuchtungswechsel und plastische Wirkungen erzielt wurden.
Obwohl gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch hier vermehrt „pikante Szenerien“ zu sehen waren, blieben Ansichten ferner Länder, Menschen und Städte sowie weltgeschichtliche Ereignisse doch die zentralen Gegenstände der Betrachtung. Das Panorama erlaubte im wahrsten Sinne des Wortes „Einblicke“ in die große weite Welt.
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(c) Stefan Nagel 2007

Freitag, 12. Oktober 2007

7 Puppentheater



Das Handpuppenspiel erfreute sich besonders großer Beliebtheit. Viele Puppenspieler waren einem breiten Publikum bekannt und gastierten nicht nur zur Freude der Kinder regelmäßig auf lokalen Volksfesten.
Die Einnahmen der wenigsten Handpuppenspieler reichten für eine geschlossene Schaubude. Die meisten konnten keinen Eintritt nehmen und spielten „publik“, d.h. unter freiem Himmel. Von ihrem Können und Improvisationstalent war es abhängig, ob Publikum angelockt und vor dem Theater gehalten werden konnte. Auf dem Höhepunkt der Vorstellung ging die Frau des Puppenspielers mit dem Sammelteller herum.
In den ungefähr zehnminütigen Stücken ging es sehr derb zu und ohne Umschweife zur Sache. Der Kasper stand in direkter Tradition zur komischen Figur reisender Komödiantenbühnen, er war verfressen, triebbestimmt und fürchtete sich vor nichts – höchstens vor seiner Ehefrau. Mutig stellte er sich gegen allerlei Bösewichte, aber auch gegen die Obrigkeit und höhere Mächte: Ob Räuber, Hexe, Krokodil, Polizist, Henker, Teufel oder gar der Tod persönlich – alle bekamen seinen gespaltenen Schlagstock, die Pritsche, zu spüren!
Das Marionettenspiel auf dem Jahrmarkt fand hingegen meistens in Schaubuden statt. Im Gegensatz zu den in Sälen stattfindenden Vorführungen wurden hier in der Regel keine größeren Stücke aufgeführt. Stattdessen zeigten Puppenspieler wie Mitglieder der bekannten Familie Schichtl kurze humoristische Stücke, Verwandlungsfiguren (Metamorphosen) und Varietemarionetten, die besonders anspruchsvolle Kunststücke vollführten. 
Marionettentheater wurden um 1800 noch als "Mechanische Theater" bezeichnet, später bezog sich der Begriff auf Automatenkabinette oder Theatrum-Mundi-Vorstellungen.
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(c) Stefan Nagel 2007

Donnerstag, 11. Oktober 2007

8 "Wilde"



Mit Menschen anderer Hautfarbe kam die Bevölkerung früherer Zeiten in der Regel nicht in Berührung. Umso größer war das Interesse an „Mohren“ oder „Negern“, die in den diffusen Vorstellungen der Menschen häufig primitive Wilde waren.
Diese rassistischen Auffassungen wuchsen mit dem Grad der Dunkelhäutigkeit der Fremden: Schwarzafrikaner oder Australier galten als besonders unterentwickelt, während die Exotik der als liebenswert-naiv geltenden Südseebewohner und ihre vermeintlich paradiesischen Lebensumstände in ein positiveres Licht gerückt wurden.

Die Schausteller bedienten und verbreiteten diese chauvinistischen Vorstellungen, indem sie die dunkelhäutigen Fremden als triebbestimmte Wilde in Szene setzten, die martialische Tänze zu Trommelschlägen und lautem „Kriegsgeschrei“ aufführten.
Im Gegensatz zu den Großen Völkerschauen, die einen informierenden Anspruch zumindest vorgaben und mitunter auch erfüllten, wurden in den Schaubuden zumeist allein einfache Schaugelüste des Publikums bedient. „Hühnerfresser“ oder gar „Kannibalen“ galten dabei als besondere Attraktionen.

Die Tatsache, dass die angeblichen „Wilden“ häufig schwarz gefärbte Schaustellergehilfen waren, sprach sich schnell herum oder war oft allzu offensichtlich. Das Attribut „echt“ wurde so zu einem unverzichtbaren Element der Ankündigungen, wobei die „Echtheit“ durch ausgehängte Zertifikate „bedeutender Professoren“ beglaubigt wurde.

Die immanent erotische Komponente der Menschenschauen, die oft übrigens durchaus auch auf das weibliche Publikum abzielte, trat in den nur Herren zugänglichen sogenannten „Harems“ schließlich offen hervor. In diesen Schaugeschäften produzierten sich leicht bekleidete „Orientalinnen“ vor einer morgenländisch-schwülstigen Kulisse – gewährten aber selten die in den Ankündigungen angedeuteten und von den Herren erhofften Einblicke…
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(c) Stefan Nagel 2007

Mittwoch, 10. Oktober 2007

9 Riesendamen



Unter den Menschen, die wegen ihres auffälligen Äußeren zur Schau gestellt wurden, waren neben Kleinwüchsigen die „Riesen- oder Kolossalmenschen“ besonders häufig. Meist waren dies sehr beleibte Damen. Männer mussten schon eine wirklich außerordentliche Körperfülle aufweisen, um als Schaubudenattraktion auftreten zu können - entfielen bei Ihnen bei Ihnen doch über die abnormale Körperfülle hinausgehende Anreize zur Besichtigung.
Auf einem großen Jahrmarkt konnte es vorkommen, dass gleich mehrere dieser Damen um die Gunst des Publikums wetteiferten – und natürlich war jede von ihnen „die schwerste der Gegenwart“ bzw. „der Welt“. Die Ausrufer geizten nicht mit Übertreibungen, um die „verehrten Herrschaften“ ausgerechnet in ihre Bude zu locken. Ihre beeindruckenden Gewichtsangaben dürften daher zumindest ebenso zweifelhaft gewesen sein wie die Passgenauigkeit der oftmals im Außenbereich ausgestellten „Original-Wäschestücke“.
Meistens wurden diese Frauen einfach nur beschaut, während sie von sich erzählten, Fragen beantworteten und Souvenirkarten verkauften. Das Publikum war häufig männlich. Ob das angegebene Körpergewicht tatsächlich stimmte, wird die wenigsten der Herren im Inneren der Bude noch interessiert haben.
Athletischere Riesendamen demonstrierten hingegen in kleinen Vorführungen außergewöhnliche Körperkräfte. Auch sie übten vor allem für das männliche Publikum einen besonderen Reiz aus.
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(c) Stefan Nagel 2007

Dienstag, 9. Oktober 2007

10 Kleinwüchsige



Kleinwüchsige waren die größte Gruppe unter den sogenannten „Abnormitäten“. Einstmals wurden sie grob in "Liliputaner" und "Zwerge" unterschieden.

Viele "Liliputaner", die bei geringer Größe normale Körperproportionen aufwiesen, waren Mitglieder großer Truppen. Einige Impresarios bauten auf Jahrmärkten Miniaturstädte auf, in denen sich die Liliputaner während der Öffnungszeiten aufhielten und dem Publikum so den Eindruck zu vermittelten, sich gleichsam wie Gulliver im Lande Liliput zu bewegen.
Andere reisten mit reinen Liliputaner-Circussen oder Varietés, in denen die Kleinwüchsigen komische Szenen, Zauberei, Clownerien, Akrobatik, Gesang und Tanzvorführungen zum Besten gaben. Dieses Repertoire wurde auch in Schaubuden gezeigt.
Besondere Attraktionen waren darüber hinaus die zahlreichen „Kleinsten Ehepaare der Welt“.

Die anderen, oft als "Zwerge" titulierten Kleinwüchsigen wurden wegen ihres Erscheinungsbildes und der etwas ungelenken, für viele Menschen sonderlich wirkenden Bewegungen in diskriminierender Weise weitgehend auf komische Rollen in Schaubuden, Circussen und auch Filmproduktionen festgelegt. 
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(c) Stefan Nagel 2007

Montag, 8. Oktober 2007

11 Riesen



Menschen mit Riesenwuchs aufgrund einer vermehrten Bildung von Wachstumshormonen tauchen auch heute noch in den Schlagzeilen der Boulevardpresse auf. Vor 100 Jahren zählten sie zu den Stars unter den „Abnormitäten“, die – wenn sie tatsächlich über „herausragende“ Körpermaße verfügten – allerdings oftmals nicht als Schaubudenattraktion in Erscheinung traten: Geschäftstüchtige Impresarios organisierten Tourneen durch Großstädte, wobei Panoptiken besonders häufige Auftrittsorte waren. Viele der berühmten Riesen wurden auch in Wachs nachgebildet und blieben so mitunter auch nach ihrem Tod in diesen Etablissements präsent.

Überdurchschnittlich große Menschen wurden aber natürlich auch in Jahrmarktsschaubuden gezeigt, wobei es die Rekommandeure mit Angaben hinsichtlich ihrer tatsächlichen Maße, ihres Appetits und ihrer Kräfte häufig nicht ganz so genau nahmen.
Um den Eindruck ihrer Körpergröße zu verstärken, trugen Riesinnen und Riesen oftmals hohe Kopfbedeckungen. Ihnen zur Seite gestellt war darüber hinaus oft ein Partner von eher geringer Körpergröße, womit die Wirkung auf das Publikum ebenfalls erhöht wurde.
Das gemeinsame Auftreten mit Liliputanern oder Zwergwüchsigen war schließlich die wirkungsvollste Möglichkeit, die „abnormen“ Körpermaße deutlich hervortreten zu lassen.
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(c) Stefan Nagel 2007

Sonntag, 7. Oktober 2007

12 Haarmenschen



Das Wissen weiter Kreise der Bevölkerung um die genaueren Umstände der menschlichen Entwicklungsgeschichte muss noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr diffus gewesen sein; jedenfalls waren Schaustellungen sogenannter „Missing Links“, angeblich fehlender Glieder zwischen Tier- und Menschenreich, vielbesuchte Schaubudenattraktionen. Die Haarmenschen waren die am meisten verbreiteten Tiermenschen - „halb Mensch, halb Tier“. Einige wenige dieser Freaks erreichten Starruhm, so „Lionel der Löwen-“ und „Jojo der Pudelmensch“.

Die Schausteller hatten noch viele weitere bizarre Erklärungen für die dichte Körperbehaarung ihrer „wissenschaftlichen Rätsel“, nur die eigentliche banale Begründung, das Weiterwachsen des embryonalen Wollhaars, blieb meistens außen vor: So wurden dem Publikum häufig haarsträubende Geschichten von der Herkunft der diversen Waldmenschen wie den „Affenweibern“ aufgetischt.

Eine starke Behaarung weckte auch bei den "Bartfrauen" das Interesse der Kirmesbesucher. Wie bei den Hermaphroditen, die ebenfalls in Schaubuden gezeigt wurden („halb Mann – halb Frau“), beruhte die Wirkung dieser Frauen auf das Publikum nicht zuletzt auf ihrer (vermeintlichen) Zwittrigkeit.
Männer, die ihre Barttracht für Geld beschauen lassen wollten, ließen diese zu enormer Länge wachsen. In Zeiten, als das äußere Erscheinungsbild strengen Normen unterlag, hatte auch solch eine „Abnormität“ durchaus Schauwert.
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(c) Stefan Nagel 2007

Samstag, 6. Oktober 2007

13 Tätowierte



Ein vollständig tätowierter Körper stellte zu einer Zeit, in der die Möglichkeiten zum Ausleben der eigenen Individualität sehr begrenzt waren, eine echte Sensation dar.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts handelte es sich in der überwiegenden Mehrzahl um Frauen, die damit warben, am ganzen Körper tätowiert zu sein und dies gelegentlich bis an die Grenzen des damals Schicklichen auch unter Beweis stellten. Dem Publikum eröffneten sich so unter dem Vorwand einer eingehenden Betrachtung der „Kunstwerke“ willkommene Gelegenheiten „einen Blick zu riskieren“.

Viele Tätowierte präsentierten in den Schaubuden ein kleines artistisches Programm, häufig Feuerspucken oder Schlangenvorführungen.
Noch mehr mögen die Besucher jedoch von den Geschichten über die angebliche Herkunft der Bilder gefesselt gewesen sein. Bisweilen ging es dabei um schmerzhafte kultische Tätowierungsriten Eingeborener, die sie auf Reisen in entlegene Weltgegenden erleiden mussten.
Motive wie Christus am Kreuz waren mit solchen Geschichten allerdings schwerlich in Einklang zu bringen. Offensichtlich fielen dem Publikum jedoch derartige Ungereimtheiten nicht auf, weil das Interesse tatsächlich weniger den Bildern galt…
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(c) Stefan Nagel 2007

Freitag, 5. Oktober 2007

14 weitere Freaks



Ein abnormales Äußeres oder abweichende Verhaltensweisen weckten schon immer die Neugierde der vermeintlich „normalen“ Menschen. In Zeiten einer besonderen Wertschätzung konformen Verhaltens und normgerechten Aussehens war das Interesse am Andersartigen besonders groß.
Einige Schausteller zogen daraus Profit, indem sie „abnorme Menschen“, die sogenannten „Freaks“, der Schaulust des Publikums aussetzten. Dessen Interesse an solcherart auffälligen Zeitgenossen besteht bis heute fort, wird allerdings nicht mehr in Jahrmarktsschaubuden, sondern durch den Boulevardjournalismus befriedigt.

Die Gruppe mit tatsächlichen oder vorgetäuschten besonderen Fähigkeiten umfasste unter anderen „Unverbrennbare“, „Viel- und Allesfresser“, „Lebende Steckdosen“, „Menschliche Nadelkissen“ - bis hin zu „Kunstfurzern“ und Menschen, die ihre Augäpfel aus den Augenhöhlen hervortreten lassen konnten

Die eigentlichen Freaks hatten demgegenüber eine abnorme Erscheinung, darunter Albinos, extrem Untergewichtige, Menschen mit entstellenden Knochenmissbildungen, Hautkrankheiten oder fehlenden Extremitäten.

Die Zurschaustellung solcher vom Schicksal hart getroffener Menschen ist aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar. Für einen körperlich besonders auffälligen Menschen war ein Engagement in solch einer Schaustellung jedoch nicht zwangsläufig ein schlechtes Los: Innerhalb der gesonderten Gemeinschaft der Circus- oder Jahrmarktsartisten erfuhren sie in der Regel eine sehr weitgehende Gleichbehandlung, die ihnen zu damaligen Zeiten in einem anderen Umfeld nicht annähernd zuteil geworden wäre.
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(c) Stefan Nagel 2007

Donnerstag, 4. Oktober 2007

15 Artistik



Die artistischen Darbietungen in Schaubuden, die unter „Theater“, „Circus“ oder „Varieté“ firmierten, waren oft von eher bescheidener Qualität. Zumeist setzte sich das Programm aus Parterreakrobatik, Messerwurf, Seiltanz, Feuerschlucken, Kleintierdressur, Schlangenvorführungen und Clownerie zusammen. Den werbewirksamen Anpreisungen der Rekommandeure kam auch hier eine besondere Bedeutung zu: Die Kautschukartistin wurde zur „Frau ohne Knochen“, der Feuerschlucker zum „Unverbrennbaren“.
Darüber hinaus stellten die Budenbesitzer in der Werbung mehr oder weniger spektakuläre Reklamenummern groß heraus. Dies konnte eine Großillusion sein, ein Kraftathlet oder als besondere Attraktion mentalmagische Darbietungen. 
Ganz gezielt wurde immer auch die Erotik zur Zuschauerwerbung eingesetzt, keine Parade, kein Programm ohne aufreizend bekleidete Artistinnen und Artisten. Bei den sehr verbreiteten „Lebenden Bildern“ trat dieser Aspekt recht offen in den Vordergrund und jedermann wusste, was es bei diesen „akademischen Kunstproduktionen“, der Nachbildung von Gemälden und antiken Skulpturengruppen durch leibhaftige Menschen, eigentlich zu bestaunen gab: Junge Frauen in eng anliegenden Ganzkörpertrikots…
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(c) Stefan Nagel 2007

Mittwoch, 3. Oktober 2007

16 Athleten



Der starke Mann war ein Synonym für den Schaubudenartisten schlechthin.
Die starken Männer nannten sich häufig Samson oder Herkules. Sie stemmten enorme Gewichte, zertrümmerten Steine mit der bloßen Faust, zerrissen Hufeisen, sprengten Ketten, bogen Eisenstangen oder schlugen große Zimmermannsnägel mit ihren Händen in dicke Eichenbretter. Männer mit einem „Eisernen Gebiss“ hoben mit ihren Zähnen schwere Gewichte, die „Lebenden Steinbrüche“ oder „Ambosse“ ließen mit Vorschlaghämmern Steine auf ihrer Brust zerschlagen.
Auch starke Damen, die so gar nicht dem Frauenbild der Zeit entsprachen, verwirrten die Männerwelt durch ihr Auftreten und ihre Körperkräfte gleichermaßen.

Oftmals bekamen Besucher der Vorführungen Gelegenheit, ihre Kräfte mit denen der Athleten zu messen, wobei im Falle eines Sieges hohe Belohnungen winkten. Solche Vergleichswettkämpfe waren besondere Publikumsmagneten, wobei das Publikum natürlich immer auf der Seite der Freiwilligen aus den eigenen Reihen war. Besonderen Mut zeigten diejenigen, die sich in Ringkampfbuden, den Stabuffs, den Kirmesathleten stellten. Die Bewunderung der anderen Besucher und der Angebeteten war ihnen sicher, die in Aussicht gestellte Siegprämie in den allermeisten Fällen hingegen nicht…
Nicht wenige Schaubuden lockten mit weiblichen Kämpferinnen, die gegen männliche Herausforderer antraten oder auch reine Damenringkämpfe austrugen. Der sportliche Wettkampf trat in diesen Shows vollends hinter einem vordergründig derben Vergnügen für ein männliches Publikum zurück.
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(c) Stefan Nagel 2007

Dienstag, 2. Oktober 2007

17 Schaubudenattraktionen auf alten Ansichtskarten



Ansichtskarten entwickelten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem industriell gefertigten Massenartikel, der sich größter Beliebtheit erfreute.

Bis 1905 wurde die Bildseite oft überschrieben. Der Grund dafür war, dass die Vorderseite allein der Anschrift vorbehalten war. Viele Ansichtskarten aus dieser Zeit haben daher auf der Bildseite ein kleines weißes Feld mit der Aufschrift „Gruß aus…“ oder „Gruß von…“ für kurze Mitteilungen.
Die Karten tauchten von Beginn an auch auf den Volksfesten auf. Zunächst handelte es sich dabei um Lithographien, die in einem Bauchladen oder einem kleinen Verkaufsstand angeboten wurden.

Postkartenverkäufer - Detail einer Bildpostkarte

Motive sind oftmals Jahrmarktszenerien mit den typischen Geschäften der Zeit, aber auch einzelne Attraktionen oder humoristische Szenen.
Für große Jahrmärkte lohnte es sich, eigene Karten in Auftrag zu geben. Die meisten Exemplare zeigen jedoch sich wiederholende Motive, die sich nur durch Aufdrucke wie „Gruß vom Schützenfest …“ unterscheiden. Andere Karten haben keine oder lediglich eine aufgestempelte Ortsangabe.

Obwohl die Darstellungen vereinfachend, häufig belustigend und mitunter im wahrsten Sinne „überzeichnet“ sind, geben sie doch interessante Einblicke in das bunte Leben auf den Jahrmärkten  vor über 100 Jahren. Sie informieren über die Art der Fahrgeschäfte und Schaustellungen auf den Festplätzen, die angebotenen Speisen, aber auch über das zu allen Zeiten oftmals derbe, manchmal ausufernde und enthemmte Treiben auf den Volksfesten.

Nach dem ersten Weltkrieg kamen verstärkt kolorierte Fotografien auf, die realistischere Eindrücke vermitteln.

Andere sehr verbreitete Sujets sind einzelne Fahrgeschäfte und vor allem Schaustellungen. Der Verkauf dieser Souvenir-Karten mit schwarz-weißen Fotografien stellte eine wichtige Einnahmequelle verschiedener Schaubudenattraktionen wie "Liliputaner", „Kolossalmenschen“ oder „Riesen“ dar.
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(c) Stefan Nagel 2007

Montag, 1. Oktober 2007

18 Literatur

Ausgewählte weiterführende Literatur

Eberstaller, Gerhard: Schön ist so ein Ringelspiel. Schausteller, Jahrmärkte und Volksfeste in Österreich. Wien 2004

Jay, Ricky: Sauschlau und Feuerfest. Menschen, Tiere und Sensationen des Showbusiness. Dt. Frankfurt/ M. 1988

Nagel, Stefan: Schaubuden. Geschichte und Erscheinungsformen.
Münster 2001-2020 (online verfügbar: www.schaubuden.de/)

Rieke-Müller Annelore, Lothar Dittrich: Unterwegs mit wilden Tieren. Wandermenagerien zwischen Belehrung und Kommerz 1750-1850. Marburg 1999

Scheugl, Hans: Showfreaks & Monster. Köln 1974

Szabo, Sacha-Roger: Rausch und Rummel. Attraktionen auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks. Bielefeld 2006

Till, Wolfgang: Alte Postkarten. Augsburg 1992